Gender Diversity in der Krise Susanne Fischer Gleichstellungsbeauftragte Rheda Wiedenbrück Unternehmerinnen Netzwerk Flechtwerk
Events + News

Kein Rollenwechsel – Gender Diversity in der Krise

Susanne Fischer schaut in den Krisenzeiten der Covid 19 Pandemie kritisch auf die Auswirkungen, die das Virus auf verfestigte Rollenmuster hat. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Rheda-Wiedenbrück sieht Gender Diversity in der Krise besonders gefährdet und beschreibt im Interview mit dem Frauenbranchenbuch OWL, wie die aktuelle Situation dazu führt, dass sich konservative Klischees manifestieren.

Frauen netzwerken anders

Frau Fischer, Sie sind Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Rheda Wiedenbrück und seit vielen Jahren Initiatorin des Unternehmerinnen Netzwerks Flechtwerk. Was gehört zu Ihrem Aufgabenbereich als Gleichstellungsbeauftragte und wie sieht ihr Arbeitsalltag aktuell aus?

Mein Aufgabenbereich gliedert sich auf der Grundlage des Landesgleichstellungsgesetzes in den internen und externen Bereich. Intern bin ich grundsätzlich in die Personalentwicklung eingebunden, begleite Auswahlverfahren und biete interne Fortbildungen an. Dabei ist mir der Blick über den Tellerrand wichtig. Extern stehe ich als Mediatorin und Coach für Beratungen in Konfliktsituationen zur Verfügung. Außerdem beschäftigt mich zur Zeit sehr das Thema Diskriminierung und Gewalt. Dazu war eine Reihe von Veranstaltungen geplant, die jetzt dem Corona-Virus zum Opfer gefallen ist. Bei dem Thema kommt es mir darauf an, wo eigentlich Diskriminierung und/oder Gewalt anfängt und an welchen Stellen jede*r von uns etwas dagegen tun kann. Dafür ist es ganz wichtig, für die vielen Prioritäten zu sensibilisieren, die wir als weiße, gebildete Europäer*innen haben. Das Flechtwerk war im Jahr 2004 das erste Netzwerk für Unternehmerinnen. Frauen netzwerken anders als Männer. Das gilt bis heute.

Respekt voreinander

Welche Erfahrungen machen Sie derzeit als Gleichstellungsbeauftragte in der Corona Krise? Mit welchen Themen oder Fragen treten die Frauen an Sie heran?

In dieser Krise ist mir bewusst geworden, dass meine Arbeit von der Begegnung mit ganz unterschiedlichen Menschen geprägt ist. Gemeinsam denken, planen und durchführen von Projekten ist meins! Da fällt jetzt ganz viel, eigentlich alles weg. So nutze ich diese Zeit, um mich mit neuen Themen zu beschäftigen, neue Ideen und Projekte zu entwickeln, z.B. einen Workshop zum Thema Gewaltfreie Kommunikation und um die Auswirkungen von Rollenklischees in unseren Köpfen. Außerdem setze ich mich mit Chancen und Grenzen von Gender und Diversity Management und mit unseren unbewussten Vorurteilen auseinander. Das finde ich sehr spannend und setzt ganz viele Ideen in Gang, die ich gern diskutieren würde, um sie in konkrete Angebote umzuwandeln. Meiner Meinung nach ist unsere Verschiedenartigkeit eine Chance, um Zukunft in Achtung und Respekt voreinander zu gestalten.

Gender Diversity in der Krise

Haben Sie den Eindruck, dass sich, durch die aktuelle Situation in der Krise für viele Frauen, die das Home Office mit der Kinderbetreuung organisieren müssen, alte Rollenmuster wieder verfestigen? Und wenn ja, wie?

In meiner Arbeit ist mir deutlich geworden, dass Gleichstellung lange geheißen hat: Frauen bekommen zu ihrer traditionellen Rolle der Fürsorgerin und Hausfrau nun auch noch das Recht auf Berufstätigkeit dazu. Das war damals gut so! Die Rollenmuster in unseren Köpfen haben lange verhindert mitzudenken, dass sich als Reaktion auf die Berufstätigkeit der Frauen auch die Rolle der Männer ändern muss. Die Belastung der Frauen und Mütter ist immer mehr geworden.

Erst seit einigen Jahren ändert sich auch ganz langsam das Bewusstsein und die Akzeptanz für die Veränderung der Rolle der Männer. Das ist ein echter Fortschritt. Die Corona-Krise könnte einen Rückschritt einleiten, zumal ja auch im rechtspopulistischen Lager die Stimmen laut werden, die die alten Rollen wieder herbei wünschen. Da greifen Dinge ineinander, die wir nicht wollen können. Gleichstellung muss in dieser Zeit beinhalten, dass jede*r die Wahlfreiheit hat, das eigene Lebensmodell zu gestalten – und alle Modelle sind gleich gut. Aber das Corona-Virus schränkt die Wahlfreiheit ein.

Die spannende Frage in dieser Zeit ist: Wer wird durch Kinder und Home Office mehr an zu Hause gebunden? Sind es die Mütter, die oftmals in den jetzt systemrelevanten Berufen arbeiten und daher kein Home Office machen können, oder sind es die Väter, die in ihren Berufsfeldern oftmals viel einfacher im Home Office arbeiten und damit gleichzeitig ihr Vater-Sein leben können? Chance oder Rückentwicklung, das ist meine Frage?

Auf jeden Fall gilt: Jede*r Einzelne hat das Recht auf Nicht-Benachteiligung mit Blick auf Bezahlung und Anerkennung. Und genauso gilt: Jed*r Einzelne hat das Recht auf Verschiedenheit auf Augenhöhe. Das ist es, was ich mir als Konsequenz der Corona-Krise wünsche: Die fürsorgenden Berufe, die sich aus dem Alltag der Frauen in den Großfamilien in vorindustrieller Zeit entwickelt haben, werden endlich angemessen bezahlt und gewertschätzt. Die Existenz jedes Familiensystems – egal in welcher Form – ist gesichert.

Foto: Lena Henkenjohann (Pressesprecherin der Stadt Rheda-Wiedenbrück)

Susanne Fischer
Gleichstellungsbeauftragte Rheda-Wiedenbrück

E-Mail: Susanne.Fischer@rh-wd.de
Telefon: 05242 963-266
Rathausplatz 13
33378 Rheda-Wiedenbrück
Zimmer 131

Sie finden mich auf der Homepage der Stadt Rheda-Wiedenbrück:
Leben in RH-WD – Gesellschaft und Soziales – Gleichstellung